Auf dem Bürgersteig vor der Geschäftsstelle der Grünen an der Johannes-Flintrop-Straße sprießt Unkraut, als hätte es jemand absichtlich dort stehen lassen. Nils Lessing schließt die Tür von innen auf und empfängt mit einem verbindlichen Lächeln. Seinen Volvo 240 Kombi aus den 80er Jahren mit nachgerüsteter Gasanlage hat er im Hinterhof geparkt. Falls der Wagen jemals kaputt gehen sollte, sagt er, werde er ihn durch ein Elektroauto ersetzen.
Im Eingangsbereich der Geschäftsstelle fällt der Blick auf eine gerahmte Fotografie, entstanden in den späten 80er oder frühen 90er Jahren, darauf zu sehen die damalige Ortsgruppe der Grünen. Im Hintergrund steht ein hoch aufgeschossener junger Mann mit rückenlangen, braunen Haaren, Brille und ernstem Gesichtsausdruck. Es ist Nils Lessing, der zu diesem Zeitpunkt als sachkundiger Bürger für die Grünen aktiv war, seine politische Karriere steckte noch in den Kinderschuhen, sollte aber schon bald Fahrt aufnehmen.
Herr Lessing, was hat Sie damals zu den Grünen hingezogen?
Nils Lessing: „Ich wollte mich engagieren und die Themen, die mich damals umgetrieben haben, waren vor allem Umwelt, Ungleichheit und Friedenspolitik, was sich übrigens bis heute nicht geändert hat. Die Stoßrichtung der Grünen deckte sich mit meinen Vorstellungen für eine bessere Zukunft.“
Sie waren das, was man seinerzeit einen Öko nannte?
Lessing: „Gar nicht. Zumindest habe ich mich so nicht gesehen. Pullover stricken und solche Sachen – das war nichts für mich. Ich habe mich aber dennoch damals sofort sehr wohl gefühlt in der Mettmanner Ortsgruppe, erhielt viel Zuspruch und Unterstützung.“
Sie wurden zunächst sachkundiger Bürger und zogen 1994 in den Stadtrat ein.
Lessing: Und abgesehen von einer Pause von fünf Jahren bin ich dort bis jetzt Mitglied geblieben.
Was waren denn damals so die bestimmenden Themen?
Lessing: „Die haben sich eigentlich in all der Zeit gar nicht so sehr verändert. Die Flüchtlingsproblematik zum Beispiel war gerade in den 90er Jahren schon ein Riesenthema. Aber auch Verkehr. Wir haben uns damals ja schon für weniger Autos und mehr Radwege stark gemacht. Da gab es hitzige Diskussionen.“
Ähnlich hitzige wie heute?
Lessing: „Polarisierung gab es damals auch. Aber es stimmt schon, das hat an Schärfe noch einmal zugenommen. Ich denke, die Corona-Zeit war da so eine Art Wendepunkt. Seitdem stelle ich fest, dass sich die Leute schneller aufregen, schneller empören. Außerdem sehe ich einen Rechtsruck in der Gesellschaft. Insgesamt ist der Ton rauer geworden, es werden Dinge gesagt, die vor nicht allzu langer Zeit noch als tabu galten. Auch an den Infoständen wird einem mitunter verbal aggressiver begegnet. Oder in den Sozialen Medien. Die Bereitschaft zum Kompromiss hat offenbar abgenommen. Die braucht es aber in einer Demokratie.“
Fragt man sich angesichts dieses Wandels manchmal, warum man sich das antut und das auch noch ehrenamtlich?
Lessing: „Nein, ich habe das immer mega-gerne gemacht und tue es noch. Ich bin da wohl auch ziemlich resilient, was das anbelangt. Aber ich kenne durchaus Kolleginnen und Kollegen, die sich schwerer tun. Die Schärfe in der Auseinandersetzung kann dann auch zum Hindernis für ehrenamtliches Engagement werden.“
Noch einmal zurück in die Vergangenheit: Was war der größte Erfolg und was die bitterste Niederlage in den Jahren ihrer Ratstätigkeit in Mettmann?
Lessing: Schwierig, da etwas herauszupicken. Es gab so viel. Bitter war sicherlich der Bau der Seibelquerspange, da haben wir lange gegen gekämpft und am Ende verloren. Ein Erfolg hingegen ist, dass wir jetzt eine Gesamtschule in Mettmann haben. Aber ganz unabhängig von einzelnen Projekten: Als vielleicht größten Erfolg würde ich werten, dass mittlerweile die Politik der Grünen in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Es hat ja gerade bei Umweltthemen einen echten Bewusstseinswandel gegeben, auch hier in Mettmann, wo meine Partei aktuell die zweitstärkste Fraktion im Rat stellt. Davon waren wir, als ich anfing, ganz weit entfernt.“
Die Ratssitzung am 4. April war ihre letzte in Mettmann. Sie hören auf als Fraktionssprecher der Grünen und als stellvertretender Bürgermeister. Zum Abschied gab es Blumen, ein Geschenk und Standing Ovations. Was überwiegt jetzt: Erleichterung oder Wehmut?
Lessing: „Wenn ich jetzt zurückblicke, schwingt natürlich Wehmut mit. Es war eine lange Zeit, ein großer Teil meines Lebens. Der Abschied im Rat war ein emotionaler Moment und ja, es fällt mir extrem schwer, hier aufzuhören. Man darf nicht vergessen, dass die ganze Arbeit, und es war viel Arbeit, auch Spaß gemacht hat. Ich werde die Stadt, die Menschen und die Kolleginnen und Kollegen vermissen. Obwohl natürlich der Kontakt bestehen bleibt.“
Sie mussten aufhören, weil Sie Ihren Wohnsitz nach Erkrath verlegen und für Ratsmitglieder eine Residenzpflicht besteht. Sie und Ihre Familie ziehen auf einen Bauernhof. Werden Sie jetzt Landwirt?
Lessing: So weit würde ich nicht gehen. Ich bleibe weiterhin Lehrer für Biologie, Chemie und Technik. Aber wir haben ein einige Hektar großes Grundstück, das wir auch bewirtschaften wollen. Es gibt eine Streuobstwiese und aktuell zwölf Schafe. Die bekommen bald Nachwuchs. Das Ganze ist ein lang gehegter Traum von mir und meiner Frau.
Und die Politik?
Lessing: „Mache ich weiter. Ich werde wieder für den Kreistag kandidieren und in Erkrath für den Stadtrat.“
Erkrath ist, wie Mettmann auch, nicht gerade auf Rosen gebettet. Da kommen Sie ja quasi vom Regen in die Traufe.
Lessing: „Stimmt die Probleme sind vergleichbar. Die finden Sie zurzeit in sehr vielen Kommunen. Aber Probleme sind dazu da, gelöst zu werden. Daran möchte ich gerne auch künftig mitwirken. Und zwar mit Optimismus. Denn alles schlecht zu reden, bringt uns nicht weiter, das bremst nur. Es klingt vielleicht ein wenig pathetisch, aber ich werde weiter für eine bessere Welt kämpfen. Nur nicht mehr in Mettmann, sondern in Erkrath.