Die Finanzexperten Dr. Helmut Peick und Harald Birkenkamp kritisieren den Haushalt „Mangelhafte Planung - Riesige Defizite“

Mettmann · Der Haushaltsplan 2020 und die mittelfristige Finanzplanung 2021-2023 ist eingebracht. Die Mettmanner Fraktionen beraten über den Haushalt. Die UBWG hat Harald Birkenkamp und Dr. Helmut Peick, zwei ausgewiesene Finanzexperten, gebeten, den Haushalt für ihre Fraktion zu analysieren, um darauf aufbauend zum Haushalt Stellung zu nehmen. Wir haben mit Dr. Helmut Peick gesprochen.

Dr. Helmut Peick macht sich Sorgen um seine Heimatstadt.

Foto: Schaufenster Mettmann/Felix Förster

„Harald Birkenkamp, seines Zeichens ehemaliger Kämmerer, Beigeordneter und Bürgermeister, und ich haben den Haushaltplan analysiert und kommen zu einem wenig schmeichelhaften Ergebnis“, sagt Peick. „Schon die Tatsache, dass es die Verwaltung - anders als in anderen Städten - nicht für nötig erachtet, den Ratsmitgliedern ein komprimiertes Zahlenwerk vorzulegen, sondern ihnen zumutet, sich durch 563 Seiten durchzuarbeiten, löst Befremden aus.“

Schwerer wiege aber der Umstand, dass die Qualität der Planung mangelhaft sei. Helmut Peick: „Das beginnt mit zahlreichen Verstößen gegen gesetzlich zwingende Vorschriften der Kommunalhaushaltsverordnung. Ein Beispiel dazu: Der Vorbericht soll als Einstieg für die Planung des neuen Jahres aus aktueller Sicht die Entwicklungen der beiden Vorjahre (2018, 2019) beschreiben. Geboten aber werden dem Leser die alten Texte mit alten Zahlen.“

Betrachte man nun die einzelnen Haushaltspositionen, so gäbe es durchgehen erhebliche Abweichungen von der erst fünf Monate alten Planung. „Das gilt selbst für einfach planbare Positionen wie die Personalkosten“, so Peick. „Hier fehlen Angaben zur Personalstärke auf Amtsebene, so dass die Verursacher teilweise drastischer Steigerungen im Dunkeln bleiben. Oft werden für denselben Sachverhalt unterschiedliche Daten an verschiedenen Stellen des Haushaltsplans angegeben. Zahlen im Text stimmen zum Teil nicht mit dazugehörigen Tabellenwerten überein. Der gesamten Planung mangelt es an Transparenz.“

Vergleiche man laut Peick und Birkenkamp nun die aktuelle Planung mit den erst vor fünf Monaten gemachten Aussagen der Kämmerin, „ist man von dem Ergebnis erschüttert“. „Im Juli 2019 legte die Kämmerin einen Haushalt vor, der für 2020 und die Folgejahre ein positives Haushaltsergebnis von insgesamt 2,1 Mio. Euro vorsah. Vier Monate später - im Dezember 2019 - weist die Haushaltsplanung für 2020 ein Defizit von 3,7 Mio. Euro auf“, sagt Peick. „Bis 2023 laufen Verluste von insgesamt 14,4 Mio. Euro auf. Die Verschuldung soll von 2019 bis 2023 von 76 Mio. Euro um 85 Prozent auf 141 Mio. Euro steigen. Die Zusatzbelastungen des Haushalts aus der Neuverschuldung wird ’grob geschätzt’ mit zwei Mio. Euro jährlich.“

Angesichts dieser „dramatischen Entwicklung“ wäre nun laut Peick und Birkenkamp zu erwarten, dass Bürgermeister und Kämmerin umfangreiche Steuererhöhungen ankündigen oder die Kostenpositionen benennen, bei deren Verminderung die sich abzeichnenden Defizite spürbar und nachhaltig abgebaut werden können. „Nichts von dem ist passiert“, sagt Helmut Peick. „Stattdessen versendet die Kämmerin ein Maßnahmenpaket an die Fraktionen, das einen Kahlschlag bei den Kultur- und Freizeiteinrichtungen vorsieht. Stadthalle, Bibliothek, Musikschule und Bäder stehen auf dem Prüfstand. Die Schließung von Stadthalle und Musikschule wird empfohlen.“

Die Nachfrage der UBWG, wie stark mit diesen Vorschlägen die Defizite abgebaut werden könnten, beantwortete die Kämmerin mit den Worten: „Der Stand anstehender Projekte bzw. Planungen lässt aktuell keine konkreten Berechnungen zu.“

„Wir haben deshalb die im Informationssystem der Stadt verfügbaren Daten ausgewertet und kommen zu folgendem Ergebnis“, so Peick. „In der politischen Diskussion wird immer wieder die Stadthalle als ’Fass ohne Boden’ bezeichnet, bei deren Schließung jährlich 450 000 Euro eingespart würden.“

Tatsache sei jedoch: Bei Schließung der Stadthalle würde ein Großteil der Sachkosten (380 000 von 537 000 Euro) weiterhin anfallen. Auch die Personalkosten würden - wenn auch an anderer Stelle in der Stadt - weiterhin bestehen. „Da andererseits Einnahmen von ca. 82 000 Euro entfallen würden, ergebe sich im Vergleich zum Weiterbetrieb der Halle eine Ersparnis von 53 000 Euro (!) pro Jahr“, sagt Helmut Peick. „Wenn aber die Halle abgerissen würde, käme im Jahr des Abrisses eine Sonderbelastung von 7 Mio. Euro zuzüglich Abriss- und Entsorgungskosten von ca. 1 Mio. Euro hinzu.“

Etwas anders sehe es wirtschaftlich betrachtet bei der Musikschule aus. „Kurzfristig würde sich das Jahresergebnis zwar sogar um 336 000 Euro verschlechtern, weil viele Kosten zunächst weiterlaufen, während die Einnahmen fehlen“, sagt Helmut Peick. „Langfristig ließen sich aber ca. 500 000 Euro jährlich einsparen. Aber will man ernsthaft ein für die Jugendbildung wesentliches Instrument opfern? Da erscheint es zielführender, den Blick auf einen der wesentlichen Kostentreiber auf der Aufwandsseite zu richten - die Personalkosten.“

Unter dem Stichwort „Kostentreiber Personal“ würden die Experten hier ansetzen. „Gemessen an vergleichbaren Städten ist Mettmanns Verwaltung schlicht überdimensioniert. Dies ist das Resultat einer ungezügelten Personalausweitung, die seit 2016 richtig Fahrt aufgenommen hat und laut Planung in den nächsten Jahren fortgesetzt werden soll“, sagt Dr. Peick. „Von 2016 bis 2019 sind die Planstellen um 35 Prozent von 497 auf 626 Stellen gestiegen. Bis 2023 sollen sie laut Planung auf 670 Stellen steigen. Durch diese Stellenausweitung steigen die Personalkosten von 2017 bis 2023 um 12 Mio. Euro auf dann 38 Mio.“

Der Anteil der Personalkosten am Gesamtaufwand der Stadt liege bei 31 Prozent. Vergleichbare Städte mit demselben Aufgabenkatalog hätten einen Anteil von 20 bis 25 Prozent. Peick: „Als Begründung werden in den Ausschuss- und Ratssitzungen immer wieder die in den Bereichen Brandschutz, Rettung, Kita, Jugend, Geflüchtete, Sozialhilfe notwendigen zusätzlichen Stellen angeführt. Tatsächlich aber wurden im Zeitraum 2016 bis 2018 nur 38 Prozent der Stellen in diesen Bereichen neu geschaffen. Im Zeitraum 2010 bis 2019 waren es 49 Prozent. Die Mehrzahl verteilte und verteilt sich weiterhin ‚über die gesamte Verwaltung’ - so der zuständige Dezernent in seiner Antwort auf eine schriftliche Anfrage. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass nachhaltige Verbesserungen der Haushaltssituation nur durch ein ambitioniertes Personaleinsparungskonzept unter Nutzung der natürlichen Fluktuation, die bei 25 bis 30 Mitarbeiter pro Jahr liegen dürfte, erreichbar erscheinen.“

Ein Riesenproblem sehen Peick und Birkenkamp in der Verschuldung der Stadt. „Die bereits eingangs genannte Verschuldung ist das zweite große Problem des Haushalts. Sie soll laut Planung von 2019 bis 2023 von 76 Mio. Euro um 85 Prozent auf 141 Mio. Euro steigen, hervorgerufen durch den Bau der Feuerwehr (28 Mio. Euro) und der Gesamtschule (34 Mio. Euro, ohne Einrichtung). Vor dem Hintergrund der Aussagen zum Brandschutzbedarfsplan sind die Angaben zum Kostenvolumen zu hinterfragen. Bei der Gesamtschule bleiben Zweifel, ob damit im Bereich Schulen die richtigen Prioritäten gesetzt werden.“

Helmut Peick spricht direkt den Bürgermeister an. „Bei seinem Amtsantritt und einem Schuldenstand von knapp 66 Mio. Euro erklärte der heutige Bürgermeister in seinem Flyer, dass der Schuldenabbau eine Daueraufgabe sei und er sofort damit beginnen wolle. Nun propagiert er unter Hinweis auf die historisch niedrigen Zinsen die massenhafte Schuldenaufnahme. Sein Argument: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“

„Er ist sich offensichtlich damit gar nicht bewusst, welches Risiko er damit der Haushaltsplanung beschert. Für die Investitionskredite sind Zins- und Tilgung zu zahlen. Wenn kein entsprechender Liquiditätsüberschuss vorhanden ist - und das war in Mettmann in der Vergangenheit häufig der Fall - müssen Liquiditätskredite aufgenommen werden, um Zinsen und Tilgung zu bezahlen. Zinsen für Liquiditätskredite sind prinzipiell hohen Schwankungen unterworfen mit hohen dauerhaften Risiken für den Haushalt. Der auf den ersten Blick plausibel erscheinende Vorschlag des Bürgermeisters ist bei näherer Betrachtung nichts anderes als Zockerei“, sagt Dr. Helmut Peick.

Der ganze Haushalt verstoße zudem gegen gesetzliche Regeln zur Haushaltsplanung. „Vielleicht sind die Sorgen um eine höhere Verschuldung aber vorerst unbegründet. Denn spätestens bei der Vorlage des Haushalts zur Genehmigung müsste die Kommunalaufsicht auf die Einhaltung gesetzlicher Regeln drängen und der geplanten Neuverschuldung - was die Großprojekte angeht - die Zustimmung versagen“, sagt Peick. „Der Haushalt verstößt gegen eine wesentliche Vorschrift der Kommunalhaushaltsverordnung. Um Investitionen dieser Größenordnung in den Finanzplan aufnehmen zu können und die notwendigen Verpflichtungsermächtigungen für die Folgejahre zu erwirken, bedarf es nach § 13 der Verordnung einer Darstellung der Wirtschaftlichkeit und der Vorlage von Planung, Gesamtkosten und Folgekosten. Machbarkeitsstudien reichen dafür nicht aus. Der Haushaltsplan erfüllt keine der Bedingungen.“

Und was sagt die Politik? „Bringen wir es auf den Punkt: Der Haushalt ist in der vorgelegten Form weder beratungs- noch entscheidungsfähig. Die UBWG hat ihn deshalb bereits abgelehnt. Die spannende Frage steht im Raum, welche Position die anderen Fraktionen zu dem Haushalt einnehmen“, so Dr. Helmut Peick abschließend.

(FF)