Stolpersteine Nicht einfach darüber hinweg gehen

Mettmann · In Mettmann wurden vier weitere Stolpersteine verlegt. Vor dem Haus Nummer 14 in der Oberstraße erinnern sie an Karl Wagner, Wilhelm Josef Friedrich Schmidt, Karolina Schmidt und Lieselotte Irma Schmidt.

Der Künstler Gunter Demnig, der sein Projekt Stolpersteine 1996 startete, verlegte vier neue Steine in der Oberstraße.

Foto: D. Herrmann

Vier Menschen, die jahrelang unter dem Terror des Nationalsozialismus zu leiden hatten; die bedroht wurden, inhaftiert und gefoltert; vier Mettmanner, die am Ende wie durch ein Wunder und dank einer mutigen Rettungsaktion überlebten: Karl Wagner, geboren am 26. November, 1899 in Thüringen, lebte seit 1925 in Metzkausen, heiratete dort 1928 Elisabeth Zerwas und hatte mit ihr zwei Töchter.

Er sympathisierte mit den Kommunisten. Nach mehreren Verhaftungen und einem zweijährigen Gefängnisaufenthalt kam er am 29. Mai 1937 nach Buchenwald, wo er vom ersten Tag des Aufbaus des Konzentrationslagers bis zur Befreiung durch die amerikanischen Truppen am 11. April 1945 bleiben musste. Am 24. Mai 1945 kehrte er nach Metzkausen zurück und arbeitete bis zu seinem frühen Lebensende in der Verwaltung – er starb im Alter von 55 Jahren am 23. März 1954.

In Buchenwald hat Karl Wagner dem ebenfalls dort inhaftierten Mettmanner Metzger Wilhelm Josef Friedrich Schmidt wahrscheinlich das Leben gerettet, als er diesen in einer nächtlichen Aktion aus dessen Baracke holte und bis zur Befreiung des Lagers versteckte und versorgte.

An die Schicksale der beiden Männer sowie die von Karolina, der jüdischen Ehefrau von Wilhelm Schmidt, und der gemeinsamen Tochter Lieselotte Irma erinnern nun vier goldene Steine mit Inschrift auf der Oberstraße vor dem Haus Nummer 14. Angefertigt und verlegt hat sie der Künstler Gunter Demnig, der sein Projekt Stolpersteine 1996 startete. In Mettmann hat er nunmehr 22 dieser goldenen Mahnmale verlegt, in Deutschland und in Europa sind es mittlerweile fast 90.000.

„Wir dürfen nicht einfach darüber hinweggehen, was den Menschen hier passiert ist“, sagte Evi Claßen, Mitglied des Bündnisses für Toleranz und Zivilcourage, in ihrer Begrüßungsrede anlässlich der Verlegung der Steine am vergangenen Dienstag. Das Bündnis hatte die Aktion angeregt, die von der Mettmannerin Marianne Zacharias maßgeblich gesponsert wurde.  Mettmanns Stadtarchivarin Marie-Luise Carl hat die Geschichte der vier Menschen aufgearbeitet und berichtete in der kleinen Gedenkfeier, an der auch Bürgermeisterin Sandra Pietschmann sowie Vertreter des Rates teilnahmen, von ihren Leidensgeschichten während der NS-Zeit.

Das Schicksal des Karl Wagner in der Zeit des Nationalsozialismus

Karl Wagner wurde am 26. 11. 1899 in Treffurt, Kreis Mühlhausen in Thüringen geboren und evangelisch getauft. Er machte eine Lehrerausbildung. Seit August 1925 lebte er in Metzkausen, wo er seine Ehefrau, die katholische Elisabeth Zerwas kennenlernte und 1928 heiratete. Mit ihr hatte er zwei Töchter. Wegen dieser Verbindung brach er mit seiner Kirche. Von 1929 bis 1933 war er als Kandidat der antifaschistischen Vereinigten Arbeiterliste Gemeindevertreter in der damaligen Bürgermeisterei Hubbelrath. 1929 wurde er wegen seiner oppositionellen Haltung aus der KPD ausgeschlossen. Seither war er Sympathisant der deutschen Kommunisten.

Im Sommer 1932 wurde er zu 250 RM Geldstrafe oder drei Monaten Gefängnis wegen Beleidigung des damaligen Lehrers und späteren Staatsrates Sickmeier nach § 11 des Presse-Gesetzes verurteilt. Am 28.2.1933 bis zum 6.5.1933 wurde er erstmals im Untersuchungsefängnis in Düsseldorf in Schutzhaft genommen. Kurz danach, am 7.6.1933, wurde er im sogenannten Braunen Haus in Mettmann, anschließend auf der Koburg erneut in Schutzhaft genommen, aber wieder frei gelassen.

Am 13.3.1935 wurde er auf Anzeige der Hubbelrather Polizei wegen der Verbreitung von Anti-Nazischriften erneut von der Düsseldorfer Gestapo, zusammen mit vier anderen Hubbelrather Angestellten und Handwerkern, verhaftet. Am 20.6.1935 verurteilte man ihn wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 18 Monaten Zuchthaus, umgewandelt in zwei Jahre Gefängnis. Nach dem Strafende am 13.3.1937 wurde er gezwungen, einen weiteren Schutzhaftbefehl zu unterschreiben, in dem er bestätigte, dass er altes KP-Mitglied sei und noch immer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle.

Am gleichen Tag, also am 13.3.1937, überstellte man ihn zunächst ins Konzentrationslager Lichtenburg in Prettin bei Torgau an der Elbe. Am 29.5.1937 kam er nach Buchenwald, wo er vom ersten Tag des Aufbaus des Konzentrationslagers bis zur Befreiung durch die amerikanischen Truppen am 11.4.1945 war. Am 24. Mai 1945 kehrte er nach Metzkausen zurück. Seit Mitte Juni 1945 wurde er zur Mitarbeit in der Verwaltung des Amtes Hubbelrath herangezogen und trat am 1. Juli 1945 als Angestellter im Wirtschaftsamt in die Verwaltung ein.

Für den Jahrestag seiner Befreiung beantragte er für den 11.4.1946 einen Urlaubstag, um „diesen so bedeutungsvollen Tag im Kreise seiner Familie still begehen“ zu können. Karl Wagner starb am 23. März 1954 im Altern von nur 55 Jahren. Er blieb bis zu seinem Lebensende in der Verwaltung tätig, stets sehr darauf bedacht, keinen persönlichen Vorteil aus dem erlittenen Leid zu ziehen.

Das Schicksal von Karl Wagner ist mit dem des Metzgers Wilhelm Josef Friedrich Schmidt, dem Ehemann der Karolina Schmidt, geborene Bach, auf dramatische Weise verbunden, denn er rettete diesem im KZ Buchenwald das Leben.

Vermutlich wurden die Häftlinge der Baracke, in der sich Schmidt befand, besonders schlecht behandelt und versorgt, so dass es dort besonders viele Todesfälle gab oder die Bewohner dieser Baracke sollten am nächsten Tag ermordet werden. Die mündlichen Berichte dazu sind abweichend. Sicher ist: In einer nächtlichen Aktion holte Karl Wagner zusammen mit Helfern Wilhelm Schmidt aus der Baracke, sie nahmen seine Papiere und Häftlingsnummer, legten eine der vielen Leichen auf seine Schlafstelle und gaben dieser Schmidts Papiere und Häftlingsnummer. Schmidt selbst versteckten sie bis zur Befreiung des Lagers und hielten ihn mit Lebensmitteln, die sie von ihren eigenen Rationen abzweigten, am Leben.

Das Schicksal der Familie des Metzgers Wilhelm Josef Friedrich Schmidt in der Zeit des Nationalsozialismus

Über das Schicksal der Familie des Max Bach, die im Oktober 1941 ins KZ verschleppt und dort ermordet worden ist, wurde sehr oft berichtet. Wenig bekannt ist, was aus seinen vier Schwestern Karoline, Henriette, Hilde und Ruth geworden ist.

Ruth, die jüngste, gelang mit ihrem Ehemann die Flucht nach Amerika. Karoline, Henriette und Hilde waren in Mettmann mit nichtjüdischen Männern die Ehe eingegangen. Dies „schützte“ die Schwestern bis 1944 vor der Deportation, doch nicht vor Repressalien. Die Ehemänner waren als „jüdisch Versippte“ „wehrunwürdig“, mussten seit Juni 1944 im „Sonderkommando J“ in Arbeitslagern der Organisation Todt in Bedburg arbeiten. Zu dieser Zeit war Irma, die Tochter der Schmidts bereits 20 Jahre alt, hatte als Schülerin in Mettmann bereits die Repressalien der nationalsozialistisch gesonnenen Mitschüler und Lehrer zu spüren bekommen. So war sie z. B. vom Sportunterricht ausgeschlossen worden und bekam plötzlich viel schlechtere Noten. Sie zog nach Düsseldorf zu ihren nicht-jüdischen Großeltern und beendete dort erfolgreich die Handelsschule. Sie machte am Tegernsee sogar ein Pflichtjahr, was ihr als Halbjüdin eigentlich untersagt war. Sie erlebte, wie im November 1938 die Metzgerei ihrer Eltern in der sogenannten Kristallnacht verwüstet wurde und wie am nächsten Tag SA die Kundschaft abgewiesen hatte. Sie mussten das Geschäft einem nichtjüdischen Metzger zur von den Nazis festgesetzten Miete überlassen und mussten ihre Wohnung gegen den Dachboden des Hauses tauschen.

Am 17. September 1944 wurden Friedrich Schmidt und seine Schwager mit dem Zug von Bedburg wegen der vorrückenden Front ins Landesinnere verlegt. Als der Zug in Gruiten längeren Aufenthalt hatte, bekamen sie die Gelegenheit, zu ihren Familien zu gehen, wie sie vorgaben „um sich zu verabschieden“. Gerade bei den Familien angekommen, bekamen sie durch anonymen Hinweis die Warnung, dass sie noch am gleichen Tag „verhaftet“ werden sollten – die ganzen Familien.

Während die eine Schwester mit ihrer Familie Richtung Wuppertal zu Freunden floh, flohen die Familie von Karoline Schmidt und ihre Schwester Henriette mit ihrem Ehemann über Düsseldorf nach Düren. Dort fanden sie durch Vermittlung eines katholischen Geistlichen Unterschlupf bei zwei Schwestern bis sie von deutschen Soldaten entdeckt und beinahe wegen Spionage standrechtlich erschossen wurden.

Nachdem sie sich aber zu erkennen gegeben hatten, wurden sie nach Köln ins sogenannte Klingelpütz gebracht. Auf diesem Weg gelang Henriette und ihrem Mann erneute die Flucht. Von dort brachte man Wilhelm Schmidt ins KZ Buchenwald. Karoline und ihre Tochter Irma waren an Typhus erkrankt. Sie hörten die täglichen Erschießungen und fragten sich, wann sie an der Reihe sein würden. Im Januar 1945 brachen sie mit anderen Gefangenen zu Fuß Richtung Olpe auf. Wer zu schwach war, wurde am Wegesrand erschossen. Mutter und Tochter kamen ins Lager Hunswinkel, ein Arbeitserziehungslager, das teilweise als KZ genutzt wurde.

Als im April 1945 die Amerikaner schon nahe des Lagers waren, wurde es geräumt. Karoline und Irma gelang im letzten Moment und unter Beschuss die Flucht in den nahegelegenen Wald. Was aus den anderen Häftlingen des Verlegungsmarsches geworden ist, konnte nie geklärt werden. Am nächsten Tag hatten die Amerikaner das Lager eingenommen und die beiden Frauen gingen dorthin zurück.

Von dort kamen sie nach Olpe ins Krankenhaus, bevor sie nach Hause entlassen wurden. Die Nationalsozialisten hatten das Haus der Schmidts Tschechen übergeben mit den Worten, es sei nun das ihre. Die Metzgerei war geschlossen. Irma musste mehrfach bei der Militärregierung vorsprechen, bevor sie erreichen konnte, dass ihre Familie das Haus zurückerhielt.

Herr Schmidt, der vermutlich nur dank der Hilfe von Karl Wagner in Buchenwald überlebt hatte, kam am 21. Mai nach Hause. Die traumatischen Erlebnisse dieser Zeit haben alle, die es überlebt haben, lebenslang belastet, viele so sehr, dass sie niemals darüber sprechen konnten. Ich denke, es ist gut und richtig, dass wir auch diese Schicksale hier heute würdigen.

Wilhelm Josef Friedrich Schmidt

geboren am 20.05.1891 in Eschweiler (Kreis Aachen)

gestorben am 21.11.1974 in Mettmann

oo  09.03.1920 in Mettmann mit

Karolina Schmidt, geb. Bach:

geboren am 26.01.1897 in Essen

gestorben am 24.07.1978 in Alkmaar/NL

oo 09.03.1920 in Mettmann

Gerd Schmidt:

geboren am 30.09.1922 in Düsseldorf (Standesamt Düsseldorf-Ost)

gestorben am 13.04.1982 in Mettmann

oo 17.05.1949 in Mettmann mit

Lieselotte Irma Schmidt, geb. Schmidt:

geboren am 30.03.1923 in Mettmann

gestorben am 9.02.2016 in Mettmann